Das flexible Fristenmodell

Garantierte Gage trotz voraussichtlicher Drehtage

Was nützen die tollsten, von unserer BFFS-Gewerkschaft durchgesetzten Rechte, wenn wir sie nicht kennen und deswegen nicht auf sie pochen können?

Darum die Kernbotschaft vorweg

Ab 1. September 2021 tritt ein neuer Schauspieltarifvertrag in Kraft und damit auch neben anderen Errungenschaften ein neu geschaffenes „Flexibles Fristenmodell“. Das Modell schützt uns vor einem weit verbreiteten Manko in unseren Drehverträgen und dem daraus folgenden wirtschaftlichen Nachteil. Wenn meine Agentur oder ich ganz auf mich allein gestellt keine garantierten Drehtage verbindlich durchsetzen kann, stattdessen nur von einer unverbindlichen, z. B. „voraussichtlichen“ Anzahl die Rede ist, musste ich bisher befürchten, dass ich am Ende deutlich weniger Drehtage habe, unter Umständen gar keine. Meine Gage drohte, viel geringer als vorgesehen, vielleicht sogar ganz auszufallen.

Genau das kann nicht mehr passieren. Denn nun sorgt das neue Flexible Fristenmodell für eine Garantiegage – auch wenn ich nur mit einer „voraussichtlichen“ Anzahl meiner Drehtage rechnen kann. Und je mehr Zeit ins Land geht, bis die Produktion endlich die feste Anzahl meiner Drehtage kennt und sie mir zusichert, desto größer wird der Betrag meiner garantierten Gage.

Vertragliche Einigung

Voraussetzung ist natürlich eine vertragliche Einigung.

Achtung! Eine bloße Anfrage ist noch keine vertragliche Einigung. Eine Anfrage bindet weder den Produzenten noch uns. Wir können uns noch nicht auf die „voraussichtlichen“ Drehtage verlassen und der Produzent sich noch nicht auf unsere „voraussichtliche“ Verfügbarkeit.

Verlass haben beide Seiten erst am Ende einer mit Zusage abgeschlossenen Verhandlung – sei es am Telefon oder per E-Mail. Die Kernpunkte der Einigung sollten sicherheitshalber und für das Flexible Fristenmodell unbedingt in Textform dokumentiert vorliegen – Stichwort Deal-Memo (siehe bitte auch den Artikel „Deal-Memo“).

Die Kernpunkte sind: welche Rolle, wieviel voraussichtliche Drehtage, welche Vertragszeit (gegebenenfalls mit anfallenden Sperrtagen innerhalb der Vertragszeit), welche Vergütung je Drehtag (gegebenenfalls mit der Vergütung für jeden weiteren zusätzlichen Drehtag), die Einigung zur branchenüblichen Rechteübertragung und zur Einhaltung der jeweils geltenden Produktionsstandards für nachhaltiges Drehen.

Die Anzahl der Drehtage gehört deswegen zu den Kernpunkten der vertraglichen Einigung, weil – wie in den Fällen, die uns im Zusammenhang mit dem Flexiblen Fristenmodell interessieren – unsere Gage zumeist je Drehtag bezahlt wird. Ist die Vergütung abhängig von der Anzahl der Drehtage, muss laut dem neuen Schauspieltarifvertrag diese Anzahl ausdrücklich genannt werden und zwar als „natürliche“ Zahl, sprich als ganze Zahl.

Jedenfalls ist der Moment der Einigung der eigentliche Vertragsschluss und nicht etwa erst die Unterzeichnung der Vertragspapiere geraume Zeit später, wie manche denken. Denn bereits durch die Annahme eines Angebots wird ein Vertrag begründet.

Der Drehtagssockel ist sowieso zu bezahlen

Habe ich eine vertragliche Einigung erzielt mit einer geschätzten Anzahl von Drehtagen, kann ich mich von dem Moment an auf das neue Flexible Fristenmodell berufen und darauf verlassen, dass wenigsten die Gage für den sogenannten Drehtagssockel garantiert ist. Der Drehtagssockel sind 50% der mit „ca.“, „voraussichtlich“, „ungefähr“, etc. angegebenen Anzahl der Drehtage plus einem Drehtag. Beispiele:

  • Spricht die vertragliche Einigung von „voraussichtlich“ 4 Drehtagen, ist von Anfang an die Gage für 3 Drehtage sicher (2 + 1 = 3);
  • bei „ca.“ 3 Drehtagen sind wenigstens 2,5 Drehtage vergütungspflichtig (1,5 + 1 = 2,5);
  • „schätzungsweise“ 2 Drehtage sind garantierte 2 Drehtage (1 + 1 = 2);
  • genauso wie beim Sonderfall von „ungefähr“ 1 Drehtag natürlich 1 Drehtag zu vergüten ist.

Wenn sich im späteren Verlauf nach meiner Vertragseinigung die Produktion doch noch festlegt und mir eine bestimmte, oberhalb des Drehtagssockels liegende Anzahl von Drehtagen verspricht, so sind selbstverständlich – wenigstens! – diese zu veranschlagen. Das gilt auch dann, wenn selbst diese letztlich nicht in voller Höhe gebraucht werden.

Entscheidend ist, wann die Drehtagsanzahl konkretisiert wird

Das Flexible Fristenmodell hieße nicht „Fristenmodell“, wenn der Drehtagssockel schon alles wäre. Die Frage ist nur: Wieviel kommt noch dazu? Oder genauer, in welcher Frist vor Vertragsanfang legt sich der Produzent endgültig auf eine verbindliche Anzahl meiner Drehtage fest?

Wie gesagt, den Drehtagssockel, bzw. – wenn sie darüber liegt – die nachgelieferte feste Anzahl meiner Drehtage muss er ohnehin bezahlen. Ob die Festlegung nun kurz nach Vertragseinigung oder kurz vor Vertragsbeginn erfolgt, ist völlig egal. Diese Vergütung habe ich mit Vertragseinigung quasi als Basisvergütung schon in der Tasche. Aber je später die Produktionsfirma diese Drehtagsanzahl konkretisiert, desto mehr muss sie mir – zusätzlich! – auch noch die restlichen Drehtage berechnen, die sie nun eigentlich nicht mehr braucht.

  • Teilt mir die Produktion die endgültige Anzahl meiner Drehtage erst mit, wenn meine Vertragszeit beginnt oder danach oder nie, muss sie mir dennoch alle „voraussichtlich“ angegebenen Drehtage in voller Höhe vergüten (und natürlich noch mehr, wenn es noch mehr werden 😉 Die bis dahin nur unverbindlich genannte Drehtagsanzahl wird mit Vertragsbeginn verbindlich, ist also „garantiert“ zu bezahlen.
  • Legt die Produktion sich in der Phase zwischen 5 Tagen und bis zu 1 Tag vor Beginn meiner Vertragszeit fest, werden mir – zusätzlich zur Basisvergütung – die nun nicht mehr gebrauchten Drehtage oberhalb des Drehtagssockels bzw. oberhalb der nun bekannten Anzahl meiner Drehtage zu 50% vergütet.
  • Trifft sie diese Entscheidung in der Spanne zwischen 10 bis zu 5 Tagen vor meinem Vertragsbeginn, schlagen diese überschüssigen Drehtage immerhin mit 40% – zusätzlich – zu Buche.
  • Im Zeitraum zwischen 15 bis 10 Tage sinkt die Prozentzahl auf 25%
  • und zwischen 30 und 15 Tage vor meinem Vertragsbeginn auf 12,5%.
  • Nur wenn die Produktion meine Drehtagsanzahl schon sehr früh, also früher als 30 Tage vor Beginn meiner Vertragszeit fixiert, bleiben die nicht mehr gebrauchten Drehtage unberücksichtigt. Fällig ist allerdings die Basisvergütung des Drehtagssockels bzw. – wenn sie darüber liegt – der konkretisierten Drehtagsanzahl.

Beispiel: Mir wurden bei Vertragseinigung „voraussichtlich“ 5 Drehtage versprochen. Eine Woche vor meinem Vertragsbeginn heißt es nun: „Wir haben das Buch arg kürzen müssen, du hast nur noch 2 Drehtage.“ Wieviel Drehtage werden mir vergütet?

Der Drehtagssockel sind 50% der „voraussichtlichen“ 5 Drehtage plus 1 Drehtag. Das sind bereits 3,5 Drehtage. Der Drehtagssockel ist also mehr als die 2 Drehtage, die nun feststehen. Der Unterschied zwischen den „voraussichtlichen“ 5 und dem Drehtagssockel von 3,5 Drehtagen sind 1,5 Drehtage. Weil die Produktion mich erst in der Frist zwischen 10 und 5 Tagen vor Vertragsbeginn über meine 2 Drehtage informiert hat, wird dieser Unterschied von 1,5 Drehtagen zu 40% berücksichtigt. Das wären 0,6 Drehtage, die noch den 3,5 Tagen des Drehtagssockels hinzugefügt werden. Die Bezahlung von insgesamt 4,1 Drehtagen ist mir also garantiert, 2,1 vergütete Drehtage mehr als die 2 Drehtage, mit denen ich mich ohne das Flexible Fristenmodell hätte zufrieden geben müssen.

Der BFFS hilft beim Rechnen

Jetzt schwirrt wahrscheinlich der Kopf vor lauter Zahlen und Kopfrechnen. Keine Sorge. Der BFFS wird demnächst einen Rechner zur Verfügung stellen – in welcher Form wird noch entschieden –, mit dem wir Mitglieder unsere jeweilige persönliche Fallkonstellation klären und unsere garantierte Gage herausfinden können. Der Rechner wird zudem den jeweiligen Berechnungsweg im Detail aufzeigen und das Flexible Fristenmodell anschaulich machen.

Ausnahmen bestätigen die Regel

Das Flexible Fristenmodell wurde vor allem für die vielen unter uns geschaffen, die nicht zu den „Großverdienern“ gehören, zumeist für wenige Drehtage verpflichtet werden und nicht über eine ausreichende Verhandlungsmacht verfügen, um sich eine feste Drehtagsanzahl garantieren zu lassen. Darum kann der BFFS damit leben, dass diejenigen vom Flexiblen Fristenmodell ausgeklammert werden, die eine Tagesgage über dem sechsfachen der Einstiegsgage, also eine Gage über 5.100 € je Drehtag (6 × 850 € = 5.150 €) beziehen.

Das Flexible Fristenmodell ist auch nicht anwendbar auf Produktionen, die wegen höherer Gewalt, oder auf Kinoproduktionen, die wegen nicht zustande gekommener Finanzierung – vollständig! – abgesagt werden. Auch wenn das Flexible Fristenmodell nicht greifen sollte, steht natürlich jedem von uns der Rechtsweg offen. Denn dass Verträge einzuhalten sind und betriebliche Risiken (siehe § 615 BGB) wie etwa „höhere Gewalt“ oder fehlende Finanzierung nicht ohne Weiteres auf uns Arbeitnehmer abgewälzt werden dürfen, steht grundsätzlich fest.

Mehr Verbindlichkeit

Das Flexible Fristenmodell wird wahrscheinlich zu mehr und frühzeitiger Verbindlichkeit führen. Uns mit einer übertriebenen, aber nur „voraussichtlichen“ Menge von Drehtagen an ein Projekt zu binden und nachher mit wenigen Drehtagen abzuspeisen, rechnet sich nicht mehr für die Produktionsfirmen. Sie werden uns künftig rechtzeitiger reinen Wein eingießen oder gleich eine feste Anzahl von Drehtagen garantieren. Das ist in ihrem, in unserem und im Sinne des BFFS.

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